Indien 2011

von Caroline Seidel

Über Umwege und Zufälle trat ich im Januar 2011 meine erste Reise nach Indien an. Ganze fünf Monate arbeitete und besuchte ich Schulen, Krankenhäuser, Waisenhäuser und viele weitere soziale Einrichtungen. Ich unterrichtete Kinder in Mathematik und Englisch – half bei der Entbindung und Wundversorgung im Krankenhaus. Die riesigen Unterschiede in diesem Land haben mich beeindruckt. Vor allem habe ich aber gesehen, in welcher Weise und für welche Zwecke Entwicklungshilfe vor Ort wirklich verwendet wird.

In diesen fünf Monaten sind mir die Kinder und Erwachsenen mit denen ich leben und von denen ich lernen durfte ans Herz gewachsen. Vor allem die indischen Frauen und Mädchen haben mir imponiert. Was wir in deutschen Medien über den Umgang mit Frauen in Indien hören ist wahr – nahezu alles. Aber um wirklich zu verstehen, wie man etwas an den Zuständen ändern kann, dafür muss man erst einmal die Kultur verstehen – und auch als solche akzeptieren. Das war eines der ersten Dinge, die ich schmerzlich lernen musste. Ich bin in Deutschland aufgewachsen und habe unsere westlichen Ansichten verinnerlicht. Für mich stand es nie zur Diskussion, das meine Eltern mich weniger lieben würden wie meinen Bruder. In Indien ist das Realität – nicht überall, aber dennoch ist dieses Denken in einem Großteil der indischen Gesellschaft verankert. Im ersten Monat habe ich mich gegen alles gesträubt. Arrangierte Ehe, Mitgift, der Fanatismus mit dem Frauen dem Schönheitsideal nacheifern eine so helle Haut wie möglich zu haben und das Kastensystem, welches alle Lebensbereiche der Menschen durchdringt.

Im zweiten Monat habe angefangen mit den Menschen zu reden – nicht das ich es vorher nicht auch getan hätte, aber dieses Mal war es zum ersten mal ein Austausch, da ich bereit war, mich auf diese Kultur einzulassen. Das heißt nicht, dass ich Zwangsehen gut heiße, aber arrangierte Ehen als Bestandteil der indischen Kultur akzeptiere. Mir und uns ist so etwas fremd, die Inder praktizieren diesen Brauch jedoch seit Jahrhunderten. Allerdings ist auch hier langsam ein Wandel zu spüren. Meine ersten Wochen verbrachte ich im Waisenhaus Swadhar, auf dem Land – danach ging es für mich in die Großstadt Bangalore. Obwohl es immer noch das gleiche Land war, erlebte ich meinen zweiten Kulturschock. Bangalore, Hyderabadt, Mumbai und auch Mangalore, so stellte ich bei meiner weiteren Reise fest, sind fast mit unseren europäischen Großstädten zu vergleichen – von dem großen Müllproblem einmal abgesehen. Äußerlich unterscheiden diese sich weniger als man meinen würde. Auch kulturell ist dort eine deutliche Annäherung an unsere westliche Kulturvorstellung zu spüren – ein Land voller Gegensätze.

Von all dem war ich beeindruckt, dennoch wäre es wohl bei dieser einen Indienreise geblieben, hätte ich nicht all die wundervollen Kinder und ihre großen Träume kennenlernen dürfen.

Als ich das erste Mal Chelsi gesehen hatte, saß das junge Mädchen zusammengekauert in einer Ecke und weigerte sich eine Hand voll Tabletten zu schlucken. Diese Mädchen hatten alle Träume, doch aufgrund ihrer Vergangenheit und der finanziellen Lage sollten all diese Träume wohl solche bleiben. Dabei – und das habe ich auch gelernt, kann man in diesem Land auch mit kleinem finanziellen Aufwand eine ganze Menge verändern.

Ich kehrte nach fünf Monaten mit einer ganzen Menge Eindrücken, Erkenntnissen – vor allem über mich (ich bin scheinbar mindestens zehn Ziegen und zwei Kühe wert – so viel wurde geboten um mich heiraten zu dürfen, da ich Europäerin bin, war das mit der Mitgift in diesem Fall anders herum, - ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass ich dankend abgelehnt habe...), Freundschaften, Tatendrang und Ideen zurück – wenige Wochen später war das „Dream-Dancer-Projekt“ - in die Tat umgesetzt und ich begann in ganz kleinem Umfang Patenschaften mit Familien aus Deutschland und meinen Mädels aus dem Heim zu vermitteln um ihnen einen Schulbesuch zu ermöglichen und ihren Gesundheitszustand zu verbessern und zu stabilisieren.