Projektentwicklung Indien 2017

von Caroline Seidel


Mit fünf Monaten Verspätung kam ich im Juni endlich in Indien an. Ursprünglich wollte ich zusammen mit unseren Kids dort ins Neue Jahr starten. Aufgrund verschiedenster Komplikationen wurde mein Aufenthalt in Kenia jedoch so lange verzögert, dass eine Weiterreise nach Indien erst so spät möglich wurde.

Angekommen in Indien ging es für mich auf direktem Weg in unser erstes Projekt in das Waisen- und Frauenhaus Swadhar in Tenali. Da mein Visum nur noch vier Wochen gültig sein würde, durfte ich schließlich keine Zeit verlieren. In Swadhar wurde ich nicht nur von den strahlenden Gesichtern unserer Mädels begrüßt, sondern auch von 46 Grad Celsius. In Kenia war Regenzeit gewesen und Regenjacke und Gummistiefel hatten seit Wochen zur Grundausstattung gehört. Diese sollte ich die nächsten Wochen nicht mehr brauchen. Zwischen 10.00 und 17.00 war ein Aufenthalt draußen unmöglich. Da die Mädels Sommerferien hatten verbrachten wir die Tage mit Brettspielen, malen, erzählen und basteln. Jegliche körperliche Aktivität versuchten wir so gut wie möglich zu vermeiden. Eine Woche verbrachte ich von morgens bis abends komplett mit den Kids. Seit dem letzten Besuch vor anderthalb Jahren hatten wir uns auch viel zu erzählen. Alle unsere jungen Mädels besuchen, dank Patenschaft, eine englischsprachige Schule und die Fortschritte sind beachtlich. Brauchte ich früher noch Unterstützung einer der älteren Mädels um mit unseren Kleinen ein vernünftiges Gespräch führen zu können, plappern sie heute von ihrem Schulalltag, ihren Freunden und den Abenteuern der letzten Monate.

Swadhar ist für mich ein ganz besonderes Projekt. 2011 war es nicht nur meine erste Station in Indien, es war darüber hinaus auch mit einer der Beweggründe, „Hand des Menschen“ zu gründen. Die Mädchen kenne ich daher seit Jahren, habe sie aufwachsen sehen und nenne das Heim selbst auch „Zuhause“. Es ist natürlich letztlich eine Institution und die Mädchen sind dort, weil sie schreckliches erlebt haben, zugleich ist es aber auch ein Zufluchtsort und eine Familie. Wie immer gab es neue Gesichter, die zunächst aus Distanz, aber mit einer gewissen Neugierde die Europäerin beäugten – die Angst verflog jedoch rasch. Nach dem ersten gemeinsamen Abendessen hatte ich das Gefühl nie weg gewesen zu sein, so vertraut fühlte sich alles an.

In den letzten 6 Jahren hat sich unglaublich viel getan. Dank unserer großartigen Unterstützer aus Deutschland hat das Heim inzwischen eine Wasserfiltermaschine für sicheres und sauberes Trinkwasser, einen großen Wassertank, der auch in Trockenzeiten wie dieser garantieren, dass keine Not entstehen kann, eine Umzäunung, die unsere Mädels vor Blicken schützt und einen Spielplatz für die Jüngsten. Auch haben die Zimmer inzwischen alle einen Ventilator und das Büro einen Computer. Unsere Mädels, die hier Handarbeit und Nähen lernen, haben neue Nähmaschinen und eine sehr gut ausgebildete Nählehrerin. Es gibt Yoga, ausreichende Nahrungsmittel, Medizinische Versorgung und regelmäßig neue Kleidung. Swadhar ist und bleibt das Vorzeigeprojekt von Hand des Menschen, worauf wir sehr stolz sind.


In Guntur, etwa einer Autostunde von Tenali entfernt, befindet sich der Leitstelle unseres „Dorfprojektes“. In verschiedenen Dörfern um Guntur unterstützen wir seit etwa 3 Jahren über 60 Halb- und Vollwaisen, die bei Familienangehörigen leben und die durch die Patenschaft einen Schulbesuch, Bücher und Uniform gestellt werden. Aufgrund der großen Anzahl der Kids in diesem Projekt verteilen wir die Treffen immer über mehrere Tage um genug Zeit mit jedem und jeder Einzelnen zu haben. Diese Treffen sind immer toll – es ist wie drei Tage hintereinander Geburtstag feiern mit Kuchen, singen, tanzen und jeder Menge Geschenke, zugleich aber verständlicherweise auch sehr anstrengend! Es ist ein tolles Gefühl die Kids auf ihrem Weg begleiten zu können, sich mit ihnen auszutauschen und gemeinsam Strategien zu entwickeln, wie wir sie bei ihren Träumen und Wünschen bestmöglich unterstützen zu können. Neben den großen Treffen mit HdM Vertretern gibt es pro Jahr vier verbindliche Treffen, an denen unsere Projektpartner jeweils Programm anbieten. Hinzu kommen die unangekündigten Besuche bei den Kids mehrfach im Jahr.

Ursprünglich wollte ich auch wieder ein paar Kids zuhause besuchen, was sich wegen der Ferienzeit auch gut angeboten hätte. Aufgrund der begrenzten Zeit wegen des Visums war das dieses Jahr jedoch nicht möglich. An drei aufeinanderfolgenden Tagen hatten wir daher jeweils zwei Gruppen pro Tag, mit denen wir es uns richtig gutgehen lassen konnten. Ein Gespräch mit einem Kind alleine dauert etwa 15-20 Minuten, in dieser Zeit werden dann gleichzeitig Patenbriefe geschrieben, Angehörige befragt und ggf Krankenhausbesuche koordiniert.

Mit den beiden Projektpartnerinnen verbindet mich seit vielen Jahren eine tiefe Freundschaft, weshalb wir diese Treffen besonders genießen und unglaublich viel Spaß haben – und das merken auch die Kids. Eine intensive Bindung mit jedem einzelnen Jungen und Mädchen ist aufgrund der Projekt Struktur unmöglich, allerdings kennen wir jeden und durch die Besuche Zuhause kennen wir sie doch sehr gut und haben viele Anknüpfungspunkte!


Nach drei Tagen „Dorfprojekt“ kam mir die zwanzig-stündige Weiterreise in den Süden von Indien nach Trichy ganz gelegen um kurz durchzuatmen. Die Distanz zwischen unseren Projekten ist teilweise recht groß – und der Zug mit Abstand die bequemste Fortbewegungsart, zudem mache ich dort immer spannende Begegnungen.

Spät abends kam ich in unserem Heim an. Wie immer war die Freude über ein Wiedersehen groß. In diesem Projekt leben über 30 Mädchen mit und ohne körperlicher / geistiger Beeinträchtigung zusammen. Einige gehen in (Spezial-) Schulen, andere bekommen direkt Unterricht und Förderung im Heim. Nach einem köstlichen gemeinsamen Abendessen ging es direkt ins Bett. Am nächsten Morgen nahm ich am Heimunterricht unserer Kids teil. Jeden Tag bekommen unsere Mädchen, die nicht auf eine „normale“ Schule gehen, Lauf- und Bewegungstraining um ihre Muskeln aufzubauen, sowie Sprachtraining, damit sie lernen sich besser ausdrücken zu können. Mercy, eins unserer Mädchen im Programm, hat vor einiger Zeit schon laufen gelernt, was einem Wunder gleich kommt und kann sich nun mit Gehhilfe langsam fortbewegen. Inzwischen hat sich auch ihr sprachliches Verständigungsvermögen deutlich verbessert. Diese Fortschritte sind es, die uns und mich selbst immer in unserer Arbeit bestärken und auch in schweren und anstrengenden Zeiten nicht aufgeben lassen. Da die Ferien vorbei waren, befanden sich tagsüber die meisten Mädchen in der Schule. Abends gegen fünf herrschte im Heim jedoch reges Treiben! Es wurde gelacht, Hausaufgaben gemacht und Spiele gespielt.


Auch in unserer Slumschule habe ich vorbeigeschaut. Seit 2013 erhalten rund 150 Kinder an drei verschiedenen Standpunkten sechsmal pro Woche abends Elementarunterricht und Zusatzunterricht. Die ursprüngliche Idee war, den Kids, die tagsüber in einer Fabrik arbeiten, abends die Grundlagen des Lesens und Schreibens näher zu bringen. Dank viel Geduld unserer Projektpartnerin und noch mehr Aufklärungsarbeit haben wir die meisten der Eltern inzwischen ermutigen können, ihre Kinder in der Schule anzumelden. Für die meisten ist der Unterricht daher mehr eine Art Zusatzunterricht. Es werden neben Hausaufgaben auch Fragen geklärt, Themen vertieft und Stoff wiederholt. Wie bei jedem Besuch drehte sich neben dem hohen Stellenwert von Bildung wieder alles um Hygiene. Zusammen haben wir die Wichtigkeit von regelmäßigem Zähneputzen, Waschen und sauberer Kleidung besprochen. Inzwischen haben die Kinder ein Bewusstsein für diese Thematik entwickelt und versuchen dies auch in ihrem Alltag weites gehend umzusetzen.


Nach einigen Tagen in Trichy ging es für mich dann wieder in den Zug und auf zu unserem Schulprojekt in Sullia, nähe Mangalore. Für gewöhnlich ist es im südwesten Indiens noch etwas heißer als im Osten – in diesem Jahr hatte ich jedoch riesiges Glück, denn pünktlich zu meiner Ankunft wurde Sullia von einem erfrischenden Regenschauer überrascht! ENDLICH! Es war zwar immer noch sehr heiß in den Phasen zwischen dem Regen, jedoch kühlte die Luft zumindest kurz ab. Wir kooperieren seit vielen Jahren mit dem Ehepaar Sadashiv, dass hier eine Schule für geistig-und körperlich Beeinträchtigte Kinder aufgebaut hat. Seit Juni 2014 sammelt HdM um ein neues Gebäude zu errichten und die Schule um ein Internat und ein Physiotherapiezentrum zu erweitern.

Angekommen konnte ich endlich die neuen (vorübergehenden) Räumlichkeiten begutachten. Da die alten Räumlichkeiten waren nicht mehr tragbar waren, ist die Sandeep-Special-School umgezogen. Da unser Kooperationspartner die Verantwortlichen des „Bildungsministeriums“ kennt, wurden uns die neuen Räume zur Verfügung gestellt. Nun haben die Kids deutlich mehr Platz! Es gibt 3 Räume und damit auch mehr Licht und Komfort. Vor dem Umzug waren einige Reparaturen notwendig, die Sadashiv übernommen hat. Daher zahlen sie auch keine Miete – Bedingung ist (natürlich & verständlich) dass das Haus einzig als Schule genutzt wird. Die Kinder haben sich wie immer riesig über unseren Besuch & die Patenpost gefreut! Die Zeit zum Spielen, Tanzen und Basteln war wie immer zu kurz, aber wir haben jede Sekunde davon genossen!

Es gibt nun zwei neue Lehrer die Sadashiv speziell dafür hat ausbilden lassen (Ausbildungsdauer 2 Jahre) – insgesamt 4 Lehrer, eine Sprachlehrerin, die 3x die Woche kommt, jede Menge neuer Kinder und etwa 12 Kids von weiter weg, die unbedingt in die Schule kommen möchten, dies ginge jedoch nur mit Internat. Das Ehepaar plant nun die Anmietung von Räumlichkeiten um dies zu ermöglichen, da die Räumlichkeiten in den Augen des Ehepaares nur eine Übergangslösung sind.

Da jedoch immer noch keine FCRA Zertifizierung vorliegt, auf die wir 3 Jahren warten und die eine Voraussetzung ist um mit unserer Hilfe einen Neubau zu errichten, konnten wir noch nicht beginnen. Allein in diesem Jahr wurden über 20.000 FCRA Registrierungen zurückgenommen, da die betreffenden NGOs ihre Bücher nicht richtig führten und es Zweifel an deren Tätigkeiten & Absichten gab. Das heißt es gibt von den etwa 1.2 Mio NGOs in Indien nun nur noch 12.000 NGOs mit FCRA ! Wie es genau weitergehen wird, werden wir Team-intern die nächsten Wochen klären!


Vor meinem Heimflug schaute ich nochmal kurz in Swadhar vorbei um meine Gummistiefel & die Regejacke abzuholen. Zum Abschied der wie immer schwer fiel, bekam ich noch Henna auf die Hände gemalt – damit ich ein kleines Stückchen Indien für die nächsten zwei Wochen bei mittragen konnte. In Deutschland angekommen wurde ich von schlechtem Wetter und Regen begrüßt – gut das ich meine Regenjacke ganz oben in den Rucksack gepackt hatte. :)

Nach über acht Monaten im Ausland stets umgeben von unseren Kids war die Ruhe und in gewisser Hinsicht auch die Privatsphäre in Deutschland zunächst sehr angenehm – für zwei Tage. Dann stellte sich wieder das Fernweh ein – bzw. in meinem Fall das „Heimweh“ - denn Zuhause ist ja bekanntlich wo das Herz ist! ;)